Die Phänomenologie ist aus meiner Sicht veraltet gegenüber dem späteren Werk, der Enzyklopädie und der Vorlesungen (Hegels Nürnberger, Heidelberger und vor allem Berliner Zeit), aber diese Meinung hat etwa ebenso viele Befürworter wie Gegner.

Der Hauptmangel der Phänomenologie, ist aus meiner Sicht, dass sie die Ansprüche, die sie in die Welt setzt, wofür sie argumentiert, wirbt, selbst nicht in ausreichendem Masse erfüllt (darum auch nur die Selbsteinschätzung als eine Einführung, Hinführung zu einem künftigen System). Hegel hat später in seiner Berliner Zeit (1819-31) nie die Phänomenologie gelehrt oder in seinen Vorlesungen benutzt.

Aber möglicherweise ist es gerade dieser Mangel an Wissenschaftlichkeit, der so manchen gerade heutigen Lesern einen leichteren Zugang ermöglicht.

Thematisch ist das Werk weitgehend überholt. Es handelt sich um eine IMHO unglückliche Verquickung von verschiedenen Themenbereichen:

Der Weg wie ein Einzelner zur Erkenntnis kommt (stw 610, Enzyklopädie, 3.Band, Der subjektive Geist, Abt. Psychologie) wird behandelt zusammen und anhand von Fragen der Entwicklung des Geistes als Ganzem (stw 612: Geschichtsphilosophie und die Vorlesungen zum absoluten, besonders Geschichte der Philosophie (stw 618-620) plus verschiedener Einzelstudien.

Das Material ist von Hegel zum größten Teil später besser und vollständiger behandelt worden und vor allem sind auch die Beziehungen und logischen Vorraussetzungen später besser dargestellt worden.

Vergleiche etwa das was er zur Französischen Revolution oder zu Kant und Schiller sagt mit seinen entsprechenden späteren Ausführungen in den Vorlesungen (franz. Revolution: Geschichtsphilosophie, Kant und Schiller: Ästhetik und Geschichte der Philosophie).

Selbst als Einführung (als das Hegel es ja noch schamhaft hat gelten lassen wollen, obwohl er das Buch bezeichnenderweise nie für seine Vorlesungen benutzt hat) ist es überholt, der Grund dazu findet sich u.a. in Hegels Logik.

Will man darum nur Ausschnitte daraus lesen, so empfiehlt sich hier vor allem die Vorrede und evtl. die bekannteren Kapitel, etwa das berühmte Herr-Knecht Kapitel, welches sich so später nicht mehr bei Hegel findet. (Oder eben etwa das Kapitel zur franz. Revolution, gerade für marxistische/kommunistische Leser, aber auch hier sind, wie gesagt, die Ausführungen Hegels in seiner Geschichtsphilosophie und Philosophiegeschichte zum guten Teil besser).

Eine spezielle Anziehung auf Marx und Marxisten hat die Phänomenologie wohl weil sie intendiert und durchgeführt wurde als Ideologie (im heutigen Sinne) Kritik.

Hegel weiß dabei (wie auch etwa später in seiner Geschichtsphilosophie) durchaus um Zusammenhänge zum "materiellen Leben", den Umständen / Gesellschaft.

Schließlich hat er die Phänomenologie geschrieben nach seinen Studien zur "abstrakten Arbeit", Entfremdung etc (in den Jenaer Systemfragmente, preiswert nachzulesen etwa bei Meiner, in der stw Ausgabe fehlen diese wichtigen Teile leider, daher unter Marxisten weniger bekannt).

Aber Hegel macht nicht den Fehler, Genese und Geltung zu verwechseln, er kritisiert die Ideologien durchaus auch für sich, in der Phänomenologie bleibt das noch manchmal unklar. Dies eben besser im späteren Werk.



[Webmaster]