Vorwort zu "Grundzüge einer Theorie der Dialektik"
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Vorwort

Ihren Ausgang nimmt die vorliegende Untersuchung von Hegels 'Logik', um diese sodann auch kritisch in Frage zu stellen. Der Titel - ,Grundzüge einer Theorie der Dialektik' - ist anspruchsvoll, doch zumindest für das hier Intendierte zutreffend. Dieses selbst, das ist mir bewusst, kann, angesichts ambitiöser, aber darum nicht schon gelungener Versuche, als ein zweifelhaftes Unternehmen erscheinen, dem gegenüber Skepsis angebracht sei. Auf solche Skepsis ist der Text eingestellt. Die hier entwickelten Überlegungen suchen nicht das schützende Dunkel esoterischen Räsonierens, sondern immer wieder und vor allem Klarheit. Inwieweit dieses Ziel erreicht wurde, muss sich erweisen. Mein Anliegen war es jedenfalls, durch größtmögliche Explizitheit der Formulierung die Stringenz dialektischer Argumentation sichtbar zu machen. In diesem Sinn sollte der vorliegende Text eigentlich aus sich verständlich sein, d.h. man sollte ihn verstehen können, ohne Hegelexperte zu sein. Anderseits* ist zu sagen, dass die Teile 2-5 konstitutiv aufeinander aufbauen, sodass die jeweils späteren sich vermutlich nicht schon versiertem Durchblättern erschließen.

Die Frage, was Dialektik sei, ist bisher außerordentlich kontrovers diskutiert worden und insoweit noch ohne befriedigende Antwort. Das ist eine unerfreuliche Situation: Nicht nur dass damit unqualifizierter Polemik Tür und Tor geöffnet ist; auch das objektiv-idealistische Programm Hegels ist so sehr mit der Möglichkeit einer dialektischen Logik verknüpft, dass es mit dieser steht und fällt. Es ist daher ein dringliches Desiderat, über die Stringenz dialektischer Argumentation Klarheit zu gewinnen. Das aber ist nur auf der Grundlage einer Theorie der Dialektik möglich. Damit ist das Anliegen dieser Untersuchung bezeichnet, wobei es hier insbesondere um die Begründung eines ausweisbaren Verfahrens dialektischer Kategorienentwicklung geht. Eben dieser methodische Aspekt war bislang, kann man sagen, das eigentlich ungelöste Problem. Hier wird nun gezeigt, dass und in welchem Sinn antinomische Strukturen dafür von zentraler Bedeutung sind. In grundsätzlicher Hinsicht ist damit das Projekt einer Selbstrekonstruktion der Logik in Angriff genommen, das seinerseits im programmatischen Rahmen eines 'objektiven Idealismus' zu sehen ist.

Für mich gewinnt in dieser Untersuchung eine langjährige Auseinandersetzung mit dem Problem der Dialektik monographischen Ausdruck. Mein Ausgangspunkt war die Lektüre der ,Phänomenologie des Geistes' als Student. Wochenlang suchte ich dem Geheimnis der Dialektik am Beispiel der ,Sinnlichen Gewissheit' und .Wahrnehmung' auf die Spur zu kommen - wie ich gestehen muss: vergeblich. In der Tat ist die phänomenlogische Erfahrung des Bewusstseins' so sehr mit empirisch-konkreten Elementen (,hier', Jetzt', ,dieses', ,Ding' usw.) verquickt, dass der logisch-kategoriale und methodische Charakter dialektischer Begriffsentwicklung von daher schwerlich fassbar wird. Die nachfolgende Beschäftigung mit Hegels 'Logik' freilich ließ mich eher noch ratloser zurück - eine Ratlosigkeit, die auch in vielen ,Logik'-Exegesen mit Händen zu greifen ist.

Diese Not, in der besonders der ist, der Hegels Philosophie Relevanz zutraut, hat den Wunsch, Licht in das dialektische Labyrinth zu bringen, immer wieder bestärkt und erneuert. Wesentlich gefördert sehe ich mich in diesem Anliegen durch Arbeiten von W. Wieland, D. Henrich, K. F. Fulda, T. Kesselring und V. Hösle.

Ein Wendepunkt im Zug meiner eigenen Bemühungen um das Problem der Dialektik ist durch eine - schon 1986 abgeschlossene, aber erst kürzlich erschienene - Untersuchung zum Antinomienproblem markiert (Wandschneider 1993a). In diesem Zusammenhang wurde mir der Charakter antinomischer Strukturen und zugleich deren Relevant für eine Theorie der Dialektik deutlicher erkennbar. Mehr oder weniger explizite Hinweise darauf, dass die Dialektik Antinomisches enthält, finden sich schon bei Hegel selbst und dann auch in neueren Arbeiten (z.B. Kulenkamp ff l970, Henrich 1976, 1978 und besonders Kesselring 1984). Mein eigener Ansatz verfolgt diese Denklinie weiter in Richtung auf eine ausgearbeitete Theorie der Dialektik. Ich glaube, dass sich - um zwei notorische Probleme einer Dialektiktheorie zu nennen - von den hier entwickelten Überlegungen her klärt, in welchem Sinn der Widerspruch in dialecticis zugelassen ist (und zugelassen werden muss) und welche Funktion er dabei für den Prozeß kategorialer Synthesebildung hat. Damit sind in der Tat zentrale Punkte des Dialektikproblems bezeichnet, ohne deren Aufklärung keine Theorie der Dialektik zu haben ist. dass der vorgelegte Entwurf nur ein erster Ansatz zu einer solchen Theorie ist, der weiterer Diskussion und Ausarbeitung bedarf, ist mir nur zu bewusst.

Die Untersuchung gliedert sich in sechs Teile. Nach einer einleitenden Charakterisierung des objektiv-idealistischen Philosophieentwurfs als dem Horizont Hegelscher Dialektik sowie der ihr zugrundeliegenden Idee (l.) folgt eine Analyse antinomischer Strukturen (2.), um von daher das Instrumentarium für das Verfahren dialektischer Kategorienentwicklung zu gewinnen. Diese wird sodann als Rekonstruktion und zugleich auch Revision der Hegeischen Argumentation durchgeführt und umfaßt in Hegels 'Logik' etwa die 'Logik der Qualität' (3.). Es folgen allgemeine Überlegungen zu systematisch-methodischen Fragen des entwickelten Ansatzes (4.) und zu globalen Aspekten eines Systems dialektischer Logik (5.). Die Arbeit schließt (6.) mit dem Versuch einer Selbstvergewisserung hinsichtlich der Stringenz dialektischer Argumentation, ihres eigenen logischen Status und des systematischen Orts dieser Untersuchung selbst.

Das Buch ist Vittorio Hösle gewidmet. Entscheidende Einsichten zu Hegels Philosophie und, wie der Text ausweist, insbesondere zur Möglichkeit von Dialektik verdanke ich dem langjährigen, freundschaftlichen Austausch mit ihm. Herzlich gedankt sei ihm auch für die Durchsicht und Diskussion einer früheren Manuskriptversion. - Viel bedeutet haben mir Gespräche mit Christian Stetter (Aachen) über sprachphilosophische Probleme und die Platonische Dialektik, insbesondere des ,Parmenides'. Danken möchte ich auch meinem Kollegen Peter Vardy (Enschede, Niederlande) zusammen mit den anderen Teilnehmern eines Dialektikseminars (durchgeführt im Wintersemester 1994 am Philosophischen Institut der Rhein.-Westf. Technischen Hochschule Aachen), in dem ich den entwickelten Ansatz zur Diskussion gestellt habe. Dankenswerterweise hat sich das Auditorium nie zufrieden geben mögen und hartnäckig und unerbittlich Klärung eingefordert. Sehr zu danken habe ich last not least meinen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Philosophischen Institut der RWTH Aachen, insbesondere M. Bormann, H. Sieger, D. Wesche, für die engagierte Hilfe und Sorgfalt bei der technischen Erstellung des Textes.


FN1: Bei den Schreibweisen .anderseits', ,sodass', .darüberhinaus', .garnicht', .zugrundeliegend' u.a. handelt es sich im folgenden um bewusste Abweichungen von der Dudennorm. [zurück zum Text]


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