Beispiele für die Verwendung des Zitates:

Das genannte Zitat kommt in diversen Variationen vor und in der Regel ohne Quellenangaben, so selbst in dem sonst meist philologisch vorbildlichen “Hegelhandbuch” von Walter Jäschke. Dort heißt es auf S.483 (zitiert nach der 3.Auflage):
“…, gleichzeitig mit Schelling nach Berlin berufen wird, um dort die »Drachensaat« des Hegelianismus auszureuten.”

ohne dass hierzu eine Quellenangabe angegeben wird.

Schon Karl Vorländer zitierte in seiner populären “Geschichte der Philosophie” von 1903 Bd.2, S.290 (§50) (bis auf die ersten zwei Worte ganz richtig, wie wir unten sehen werden) mit vager Quellenangabe, aber ohne Beleg:

“Und als dann die sogenannte »Linke« der Hegelschen Schule (s. § 62) aus dem System des Meisters sehr radikale Folgerungen in religiöser Beziehung zog, berief der romantisch-gläubige Friedrich Wilhelm IV. bald nach seiner Thronbesteigung den greisen Philosophen [Schelling] nach der preußischen Hauptstadt, »um der Drachensaat des Hegelschen Pantheismus, der flachen Vielwisserei und der gesetzlichen Auflösung häuslicher Zucht« (Friedrich Wilhelm IV. an Bunsen) entgegenzuwirken. Aber das gelang nicht.”

(Eine Onlineversion von Vorländers Kapitel findet sich z.B. unter https://www.textlog.de/6536.html).

Spätere Zitate weichen z.T. erheblich von dem ursprünglichen Zitat (s.u.) ab, was für die heutigen Zitierstandards erstaunlich ist.

Darum hier als Dienstleistung an alle diejenigen, die eine präzise Zitierung benötigen, die Ergebnisse meiner Nachforschungen zur Übernahme:

Das Originalzitat in “Schellings Leben in Briefen”

Hier die ältesten Quellen die ich dazu finden konnte, mit dem ausführlichen Zitat des Originalberufungsbriefes und dem Kontext dazu:

Kaum (36) hatte der Kronprinz als Friedrich Wilhelm IV. den Thron bestiegen, so ließ er Einleitungen treffen, die zur Erfüllung dieses Wunsches führen sollten. Es war ihm ein persönliches Anliegen, da er an das Auftreten Schellings in Berlin große Hoffnungen knüpfte und hiervon einen Um schwung in dem herrschenden Zuge der Wissenschaft und der höheren Bildung überhaupt, der ihm als falsch und verderblich galt, erwartete. Er beauftragte den damals auf dem Hübel bei Bern weilenden Bunsen, im Geheimen und ohne eine andere Vermittelung mit Schelling in Verhandlung zu treten.

Bunsen eröffnete diesem in einem Briefe vom 1. Aug. 1840, es sei dem Könige nicht darum zu thun, die erste Universität seines Reiches mit einem glänzenden Namen zu schmücken.

„Der König fühlt, noch tiefer und stärker, denn er es als Kronprinz empfand, das Elend, worin Stillstand und Versumpfung alles realen Lebens in Staat und Kirche, und der Uebermuth und Formalismus der Schule des leeren Begriffs das theure Vaterland gestürzt. Er hat es längst erkannt und empfunden, wie diese vereinten Umstände in einem Theile des jüngeren Geschlechts eine zersetzende und zerstörende Kraft und eine Frechheit entwickelt haben, die an längst durchgekämpft geglaubte Zeiten und Gefahren erinnert. Er bedachte, – um mich seiner eigenen noch vor wenig Monaten brieflich ausgesprochenen Worte zu bedienen –

„die Drachensaat des Hegelschen Pantheismus, der flachen Vielwisserei und der gesetzlichen Auflösung häuslicher Zucht, deren Erndte in jene Tage fallen muß“.

Aber daneben gewahrt und begrüßt er auch freudig die Reste eines hohen geistigen Schwunges der Nation, und die Zeichen der Empfänglichkeit des heran reifenden Geschlechts für die Verwirklichung dessen, was damals, was seit 300 Jahren angestrebt worden. – Er wünscht Sie an seiner Universität als den Lehrer der Zeit, weil er weiß, daß ein ganzes Geschlecht, Jünglinge und Männer aus allen Stämmen und Gauen Deutschlands, deren Schwung nur gelähmt, deren Begeisterung nur gefesselt war, dieses Lehrers harrt, daß das ins Stocken gerathene Leben der Wissenschaft nur des befruchtenden Anregens vom Meister bedarf, um kräftig aufzusprießen. Er beruft Sie also nicht zu einer von ihm oder von Ihnen selbst gewählten Stellung, sondern er ladet Sie ein, er fordert Sie auf, die Stellung ein- (37) zunehmen, welche Gott Ihnen in Ihrer Zeit für Ihr ganzes großes Vaterland gegeben hat.“

Quelle: “Aus Schellings Leben in Briefen - Dritter Band 1821-1854,” S.35-37. Herausgegeben von S.L.Plitt. Verlag S.Hirzel, Leipzig 1870. Die entscheidende Seite 36 ist z.B. hier digitalisiert online: https://reader.digitale-sammlungen.de/de/fs1/object/display/bsb11003751_00050.html

Das “Drachensaat” Zitat kommt also aus dem Berufungsbrief Bunsens an Schelling, in welchem Bunsen seinerseits das Zitat aus einem Brief des Königs an ihn (Bunsen) zitiert.

weitere Quelle bei Kuno Fischer “Schellings Leben und Schriften”

Der Philosophiehistoriker Kuno Fischer, ein Schüler von Johann Eduard Erdmann und damit indirekter Schüler Hegels, berichtet das Zitat (anscheinend in Zitierung aus einem Sammelband der Briefe Bunsens) in seiner zwei Jahre später erschienenen Schelling Biographie “Geschichte der neueren Philosophie - Sechster Band. Friedrich Wilhelm Josef Schelling - Erstes Buch. Schellings Leben und Schriften“, Heidelberg 1872, in Auszügen:

“Die Berufung Schellings war die Kriegserklärung von oben gegen die hegelsche Philosophie. Es war in dem Schreiben selbst unumwunden gesagt, gegen welchen Feind man die geistige Macht Schellings ins Feld führen wolle. Er solle dem Elende abhelfen, welches “der Übermuth und Fanatismus der Schule des leeren Begriffs” angerichtet. Das waren Bunsens Worte. Es gelte, “der Drachensaat des hegelschen Pantheismus“, so hatte der König selbst sich unlängst gegen Bunsen brieflich ausgedrückt * ) .

Die Ansichten der Menschen sind wandelbar, besonders wenn man vorgefaßte Meinungen über Dinge hat, die man nicht kennt. Solche Meinungen abzulegen , ist rühmlich. Vier Jahre später schrieb Bunsen an einen seiner englischen Freunde : „ Was Hegel angeht , so gestehe ich , daß ich jedes Jahr höher von seiner Fähigkeit denke, die Wirklichkeit zu umfassen , obgleich die Methode mir unschmachaft bleibt. Vorher hieß es “die Schule des leeren Begriffs” ** ). "

Der Brief mit dem Rufe des Königs kam aus der Schweiz (wo Bunsen seit einem Jahr preußischer Gesandter war) und wurde in einer vertraulichen Beilage" von der Bitte begleitet, Schelling möge zu einer mündlichen Besprechung nach der Schweiz kommen.

  • ) Chr. R. 3. v. Bunsen u.s.f. BD. II . S. 133 flgd. **) Ebendas. II. S. 279

Moderne Quellenangaben

Das “Historischen Wörterbuch der Philosophie” schließlich gibt in Band 7, S.61 im Pantheismus Artikel: zu der Aussage
“Friedrich Wilhelm IV. versprach sich von Schellings Berufung nach Berlin Abhilfe gegen die «Drachensaat des Hegelschen P.»”

in der zugehörigen Fußnote 55 die folgende, heute besser zugängliche Quelle an:

“C. C. J. BUNSEN an Schelling, 1. 8. 1840, in: X. TILLIETTE (Hg.): Schelling im Spiegel seiner Zeitgenossen (Turin 1974) 422.”

Auch in der von Manfred Frank 1977 bei Suhrkamp herausgegebenen “Philosophie der Offenbarung: 1841/42” soll im Vorwort der Brief von Bunsen an Schelling zitiert sein.