§ 1
Die Philosophie entbehrt des Vorteils,
der den anderen Wissenschaften zugute kommt,
ihre Gegenstände als unmittelbar von der Vorstellung zugegeben
sowie die Methode des Erkennens für Anfang und Fortgang
als bereits angenommen voraussetzen zu können.

Sie hat zwar ihre Gegenstände zunächst mit der Religion gemeinschaftlich.

Beide haben die Wahrheit zu ihrem Gegenstande,
und zwar im höchsten Sinne
- in dem,
daß Gott die Wahrheit und er allein die Wahrheit ist.

Beide handeln dann ferner von dem Gebiete des Endlichen,
von der Natur und dem menschlichen Geiste,
deren Beziehung aufeinander und auf Gott als auf ihre Wahrheit.

Die Philosophie kann daher wohl eine Bekanntschaft
mit ihren Gegenständen,
ja sie muss eine solche,
wie ohnehin ein Interesse an denselben voraussetzen,
- schon darum,
weil das Bewußtsein sich der Zeit nach Vorstellungen von Gegenständen
früher als Begriffe von denselben macht,
der denkende Geist sogar nur durchs Vorstellen hindurch
und auf dasselbe sich wendend zum denkenden Erkennen
und Begreifen fortgeht.

Aber bei dem denkenden Betrachten gibt’s sich bald kund,
daß dasselbe die Forderung in sich schließt,
die Notwendigkeit seines Inhalts zu zeigen,
sowohl das Sein schon als die Bestimmungen
seiner Gegenstände zu beweisen.

Jene Bekanntschaft mit diesen erscheint so als unzureichend,
und Voraussetzungen und Versicherungen zu machen
oder gelten zu lassen als unzulässig.

Die Schwierigkeit,
einen Anfang zu machen,
tritt aber zugleich damit ein,
da ein Anfang als ein Unmittelbares seine Voraussetzung macht
oder vielmehr selbst eine solche ist.


§ 2
Die Philosophie kann zunächst im allgemeinen als denkende
Betrachtung der Gegenstände bestimmt werden.

Wenn es aber richtig ist (und es wird wohl richtig sein),
daß der Mensch durchs Denken sich von Tiere unterscheidet,
so ist alles Menschliche dadurch und allein dadurch menschlich,
daß es durch das Denken bewirkt wird.

Indem jedoch die Philosophie eine eigentümliche Weise des Denkens ist,
eine Weise,
wodurch es Erkennen und begreifendes Erkennen wird,
so wird ihr Denken auch eine Verschiedenheit haben
von dem in allem Menschlichen tätigen,
ja die Menschlichkeit des Menschlichen bewirkenden Denken,
so sehr es identisch mit demselben,
an sich nur ein Denken ist.

Dieser Unterschied knüpft sich daran,
daß der durchs Denken begründete,
menschliche Gehalt des Bewußtseins
zunächst nicht in Form des Gedankens erscheint,
sondern als Gefühl, Anschauung, Vorstellung,
- Formen,
die von dem Denken als Form zu unterscheiden sind.


§ 3
Der Inhalt,
der unser Bewußtsein erfüllt,
von welcher Art er sei,
macht die Bestimmtheit der Gefühle, Anschauungen, Bilder,
Vorstellungen, der Zwecke, Pflichten usf.
und der Gedanken und Begriffe aus.

Gefühl, Anschauung, Bild usf.
sind insofern die Formen solchen Inhalts,
welcher ein und derselbe bleibt,
ob er gefühlt, angeschaut, vorgestellt, gewollt
und ob er nur gefühlt oder aber mit Vermischung von Gedanken
gefühlt, angeschaut usf.
oder ganz unvermischt gedacht wird.

In irgendeiner dieser Formen oder in der Vermischung mehrerer
ist der Inhalt Gegenstand des Bewußtseins.

In dieser Gegenständlichkeit schlagen sich aber auch
die Bestimmtheiten dieser Formen zum Inhalte;
so daß nach jeder dieser Formen
ein besonderer Gegenstand zu entstehen scheint und,
was an sich dasselbe ist,
als ein verschiedener Inhalt aussehen kann.


§ 4
In Beziehung auf unser gemeines Bewußtsein zunächst
hätte die Philosophie das Bedürfnis ihrer eigentümlichen Erkenntnisweise darzutun
oder gar zu erwecken.

In Beziehung auf die Gegenstände der Religion aber,
auf die Wahrheit überhaupt,
hätte sie die Fähigkeit zu erweisen,
dieselben von sich aus zu erkennen;
in Beziehung auf eine zum Vorschein kommende Verschiedenheit
von den religiösen Vorstellungen
hätte sie ihre abweichenden Bestimmungen zu rechtfertigen.


§ 5
Zum Behufe einer vorläufigen Verständigung
über den angegebenen Unterschied
und über die damit zusammenhängende Einsicht,
daß der wahrhafte Inhalt unseres Bewußtseins
in dem Übersetzen desselben in die Form des Gedankens
und Begriffs erhalten,
ja erst in sein eigentümliches Licht gesetzt wird,
kann an ein anderes altes Vorurteil erinnert werden,
daß nämlich,
um zu erfahren,
was an den Gegenständen und Begebenheiten, auch Gefühlen,
Anschauungen, Meinungen, Vorstellungen usf. Wahres sei,
Nachdenken erforderlich sei.

Nachdenken aber tut wenigstens dies auf allen Fall,
die Gefühle, Vorstellungen usf. in Gedanken zu verwandeln.


§ 6
Von der andern Seite ist es ebenso wichtig,
daß die Philosophie darüber verständigt sei,
daß ihr Inhalt kein anderer ist als der im Gebiete
des lebendigen Geistes ursprünglich hervorgebrachte
und sich hervorbringende,
zur Welt,
äußeren und inneren Welt des Bewußtseins gemachte Gehalt,
- daß ihr Inhalt die Wirklichkeit ist.

Das nächste Bewußtsein dieses Inhalts nennen wir Erfahrung.

Eine sinnige Betrachtung der Welt unterscheidet schon,
was von dem weiten Reiche des äußeren und inneren Daseins nur Erscheinung,
vorübergehend und bedeutungslos ist,
und was in sich wahrhaft den Namen der Wirklichkeit verdient.

Indem die Philosophie von anderem Bewußtwerden dieses einen
und desselben Gehalts nur nach der Form unterschieden ist,
so ist ihre Übereinstimmung mit der Wirklichkeit
und Erfahrung notwendig.

Ja,
diese Übereinstimmung kann für einen wenigstens äußeren
Prüfstein der Wahrheit einer Philosophie angesehen werden,
so wie es für den höchsten Endzweck der Wissenschaft anzusehen ist,
durch die Erkenntnis dieser Übereinstimmung die Versöhnung
der selbstbewußten Vernunft mit der seienden Vernunft,
mit der Wirklichkeit hervorzubringen.


§ 7
Indem das Nachdenken überhaupt zunächst das Prinzip
(auch im Sinne des Anfangs) der Philosophie enthält
und nachdem es in seiner Selbständigkeit wieder
in neueren Zeiten erblüht ist (nach den Zeiten der lutherischen Reformation),
so ist,
indem es sich gleich anfangs nicht bloß abstrakt
wie in den philosophierenden Anfängen der Griechen gehalten,
sondern sich zugleich auf den maßlos scheinenden Stoff
der Erscheinungswelt geworfen hat,
der Name Philosophie allem demjenigen Wissen gegeben worden,
welches sich mit der Erkenntnis des festen Maßes
und Allgemeinen in dem Meere der empirischen Einzelheiten
und des Notwendigen,
der Gesetze in der scheinbaren Unordnung
der unendlichen Menge des Zufälligen beschäftigt
und damit zugleich seinen Inhalt aus dem eigenen Anschauen
und Wahrnehmen des äußeren und Inneren,
aus der präsenten Natur wie aus dem präsenten Geiste
und der Brust des Menschen genommen hat.


§ 8
So befriedigend zunächst diese Erkenntnis in ihrem Felde ist,
so zeigt sich fürs erste noch ein anderer Kreis von Gegenständen,
die darin nicht befaßt sind,
- Freiheit, Geist, Gott.

Sie sind auf jenem Boden nicht darum nicht zu finden,
weil sie der Erfahrung nicht angehören sollten
- sie werden zwar nicht sinnlich erfahren,
aber was im Bewußtsein überhaupt ist,
wird erfahren;
dies ist sogar ein tautologischer Satz -,
sondern weil diese Gegenstände sich sogleich ihrem Inhalte nach
als unendlich darbieten.


§ 9
Fürs andere verlangt die subjektive Vernunft der Form nach
ihre weitere Befriedigung;
diese Form ist die Notwendigkeit überhaupt (s. § 1).

In jener wissenschaftlichen Weise ist
teils das in ihr enthaltene Allgemeine, die Gattung usf.
als für sich unbestimmt,
mit dem Besonderen nicht für sich zusammenhängend,
sondern beides einander äußerlich und zufällig,
wie ebenso die verbundenen Besonderheiten
für sich gegenseitig äußerlich und zufällig sind.

Teils sind die Anfänge allenthalben Unmittelbarkeiten,
Gefundenes, Voraussetzungen.

In beidem geschieht der Form der Notwendigkeit nicht Genüge.

Das Nachdenken,
insofern es darauf gerichtet ist,
diesem Bedürfnisse Genüge zu leisten,
ist das eigentlich philosophische, das spekulative Denken.

Als Nachdenken hiermit,
das in seiner Gemeinsamkeit mit jenem ersten Nachdenken
zugleich davon verschieden ist,
hat es außer den gemeinsamen auch eigentümliche Formen,
deren allgemeine der Begriff ist.


§ 10
Dieses Denken der philosophischen Erkenntnisweise bedarf es selbst,
sowohl seiner Notwendigkeit nach gefaßt
wie auch seiner Fähigkeit nach,
die absoluten Gegenstände zu erkennen,
gerechtfertigt zu werden.

Eine solche Einsicht ist aber selbst philosophisches Erkennen,
das daher nur innerhalb der Philosophie fällt.

Eine vorläufige Explikation würde hiermit eine unphilosophische sein sollen
und könnte nicht mehr sein als ein Gewebe von Voraussetzungen,
Versicherungen und Räsonnements,
- d. i. von zufälligen Behauptungen,
denen mit demselben Rechte die entgegengesetzten gegenüber
versichert werden könnten.


§ 11
Näher kann das Bedürfnis der Philosophie dahin bestimmt werden,
daß,
indem der Geist als fühlend und anschauend Sinnliches,
als Phantasie Bilder, als Wille Zwecke usf.
zu Gegenständen hat,
er im Gegensatze oder bloß im Unterschiede von diesen Formen
seines Daseins und seiner Gegenstände auch seiner höchsten Innerlichkeit,
dem Denken,
Befriedigung verschaffe und das Denken zu seinem Gegenstande gewinne.

So kommt er zu sich selbst,
im tiefsten Sinne des Worts,
denn sein Prinzip,
seine unvermischte Selbstheit ist das Denken.

In diesem seinem Geschäfte aber geschieht es,
daß das Denken sich in Widersprüche verwickelt,
d. i. sich in die feste Nichtidentität der Gedanken verliert,
somit sich selbst nicht erreicht,
vielmehr in seinem Gegenteil befangen bleibt.

Das höhere Bedürfnis geht gegen dies Resultat
des nur verständigen Denkens und ist darin begründet,
daß das Denken nicht von sich läßt,
sich auch in diesem bewußten Verluste seines Beisichseins getreu bleibt,
»auf daß es überwinde«,
im Denken selbst die Auflösung seiner eigenen Widersprüche vollbringe.


§ 12
Die aus dem genannten Bedürfnisse hervorgehende
Entstehung der Philosophie hat die Erfahrung,
das unmittelbare und räsonierende Bewußtsein,
zum Ausgangspunkte.

Dadurch als einen Reiz erregt,
benimmt sich das Denken wesentlich so,
daß es über das natürliche, sinnliche und räsonierende Bewußtsein
sich erhebt in das unvermischte Element seiner selbst
und sich so zunächst ein sich entfernendes,
negatives Verhältnis zu jenem Anfange gibt.

Es findet so in sich,
in der Idee des allgemeinen Wesens dieser Erscheinungen,
zunächst seine Befriedigung;
diese Idee (das Absolute, Gott) kann mehr oder weniger abstrakt sein.

Umgekehrt bringen die Erfahrungswissenschaften den Reiz mit sich,
die Form zu besiegen,
in welcher der Reichtum ihres Inhalts
als ein nur Unmittelbares und Gefundenes,
nebeneinander gestelltes Vielfaches,
daher überhaupt Zufälliges geboten wird,
und diesen Inhalt zur Notwendigkeit zu erheben,
- dieser Reiz reißt das Denken aus jener Allgemeinheit
und der an sich gewährten Befriedigung heraus
und treibt es zur Entwicklung von sich aus.

Diese ist einerseits nur ein Aufnehmen des Inhalts
und seiner vorgelegten Bestimmungen
und gibt demselben zugleich andererseits die Gestalt,
frei im Sinne des ursprünglichen Denkens
nur nach der Notwendigkeit der Sache selbst hervorzugehen.


§ 13
In der eigentümlichen Gestalt äußerlicher Geschichte
wird die Entstehung und Entwicklung der Philosophie
als Geschichte dieser Wissenschaft vorgestellt.

Diese Gestalt gibt den Entwicklungsstufen der Idee
die Form von zufälliger Aufeinanderfolge
und etwa von bloßer Verschiedenheit der Prinzipien
und ihrer Ausführungen in ihren Philosophien.

Der Werkmeister aber dieser Arbeit von Jahrtausenden
ist der eine lebendige Geist,
dessen denkende Natur es ist, das,
was er ist,
zu seinem Bewußtsein zu bringen und,
indem dies so Gegenstand geworden,
zugleich schon darüber erhoben und eine höhere Stufe
in sich zu sein.

Die Geschichte der Philosophie
zeigt an den verschieden erscheinenden Philosophien
teils nur eine Philosophie auf verschiedenen Ausbildungsstufen auf,
teils daß die besonderen Prinzipien,
deren eines einem System zugrunde lag,
nur Zweige eines und desselben Ganzen sind.

Die der Zeit nach letzte Philosophie ist das Resultat aller vorhergehenden Philosophien
und muss daher die Prinzipien aller enthalten;
sie ist darum,
wenn sie anders Philosophie ist,
die entfaltetste, reichste und konkreteste.


§ 14
Dieselbe Entwicklung des Denkens,
welche in der Geschichte der Philosophie dargestellt wird,
wird in der Philosophie selbst dargestellt,
aber befreit von jener geschichtlichen Äußerlichkeit,
rein im Elemente des Denkens.

Der freie und wahrhafte Gedanke ist in sich konkret,
und so ist er Idee,
und in seiner ganzen Allgemeinheit die Idee oder das Absolute.

Die Wissenschaft desselben ist wesentlich System,
weil das Wahre als konkret nur als sich in sich entfaltend
und in Einheit zusammennehmend und -haltend,
d. i. als Totalität ist und nur durch Unterscheidung
und Bestimmung seiner Unterschiede die Notwendigkeit derselben
und die Freiheit des Ganzen sein kann.


§ 15
Jeder der Teile der Philosophie ist ein philosophisches Ganzes,
ein sich in sich selbst schließender Kreis,
aber die philosophische Idee ist darin
in einer besonderen Bestimmtheit oder Elemente.

Der einzelne Kreis durchbricht darum,
weil er in sich Totalität ist,
auch die Schranke seines Elements und begründet eine weitere Sphäre;
das Ganze stellt sich daher als ein Kreis von Kreisen dar,
deren jeder ein notwendiges Moment ist,
so daß das System ihrer eigentümlichen Elemente
die ganze Idee ausmacht,
die ebenso in jedem einzelnen erscheint.


§ 16
Als Enzyklopädie wird die Wissenschaft
nicht in der ausführlichen Entwicklung ihrer Besonderung dargestellt,
sondern ist auf die Anfänge und die Grundbegriffe
der besonderen Wissenschaften zu beschränken.


§ 17
Für den Anfang,
den die Philosophie zu machen hat,
scheint sie im allgemeinen ebenso mit einer subjektiven Voraussetzung
wie die anderen Wissenschaften zu beginnen,
nämlich einen besonderen Gegenstand,
wie anderwärts Raum, Zahl usf.,
so hier das Denken zum Gegenstande des Denkens machen zu müssen.

Allein es ist dies der freie Akt des Denkens,
sich auf den Standpunkt zu stellen,
wo es für sich selber ist
und sich hiermit seinen Gegenstand selbst erzeugt und gibt.

Ferner muss der Standpunkt,
welcher so als unmittelbarer erscheint,
innerhalb der Wissenschaft sich zum Resultate,
und zwar zu ihrem letzten machen,
in welchem sie ihren Anfang wieder erreicht
und in sich zurückkehrt.

Auf diese Weise zeigt sich die Philosophie
als ein in sich zurückgehender Kreis,
der keinen Anfang im Sinne anderer Wissenschaften hat,
so daß der Anfang nur eine Beziehung auf das Subjekt,
als welches sich entschließen will zu philosophieren,
nicht aber auf die Wissenschaft als solche hat.

- Oder, was dasselbe ist,
der Begriff der Wissenschaft und somit der erste
- und weil er der erste ist,
enthält er die Trennung,
daß das Denken Gegenstand für ein (gleichsam äußerliches)
philosophierendes Subjekt ist -
muss von der Wissenschaft selbst erfaßt werden.

Dies ist sogar ihr einziger Zweck, Tun und Ziel,
zum Begriffe ihres Begriffes
und so zu ihrer Rückkehr und Befriedigung zu gelangen.


§ 18
Wie von einer Philosophie nicht eine vorläufige,
allgemeine Vorstellung gegeben werden kann,
denn nur das Ganze der Wissenschaft ist die Darstellung der Idee,
so kann auch ihre Einteilung nur erst aus dieser begriffen werden;
sie ist wie diese,
aus der sie zu nehmen ist,
etwas Antizipiertes.

Die Idee aber erweist sich
als das schlechthin mit sich identische Denken
und dies zugleich als die Tätigkeit,
sich selbst,
um für sich zu sein,
sich gegenüberzustellen und in diesem Anderen nur bei sich selbst zu sein.

So zerfällt die Wissenschaft in die drei Teile:

1. Die Logik,
die Wissenschaft der Idee an und für sich,
11. Die Naturphilosophie
als die Wissenschaft der Idee in ihrem Anderssein,
111. Die Philosophie des Geistes als der Idee
die aus ihrem Anderssein in sich zurückkehrt.